Sunday 10 October 2010

Entscheidungsfindung

9. Oktober

Hallo ihr Lieben, da bin ich wieder. Die erste Woche ist wie im Flug vergangen. Und soviel ist passiert! Ich hatte meinen ersten praktischen Garteneinsatz und eine Wanderung mit den Kindern... aber alles der Reihe nach.

Am Mittwoch waren wir in der Sea View Primary School, einer sehr netten Schule, deren Garten gerade im ersten Jahr ist. Yoli, die Faciliator-in, die ich gerade begleite hat lauter Schulen im ersten Jahr, ein anderer Faciliator hat wohl alle Gärten im zweiten und wieder ein anderer die im dritten Jahr. Seed begleitet die Schulen drei Jahre lang, hält Unterricht für die Kids und hilft bei den praktischen Arbeiten im Garten durch Anleitung. Im Vorfeld werden die Pläne für das Design der Gärten erstellt und ich glaube auch, dass das Anlegen der groben Strukturen wie Beete und das Überdachten „Grüne Klassenzimmer“ von Seed durchgeführt wird. Wie das im Detail funktioniert weiß ich noch nicht so genau, aber falls es jemanden interessiert könnt ihr mich ja nochmal fragen.

Zurück zur Sea View Primary:
Ich habe dort eine Unterrichtsstunde erlebt, die mich erstaunt hat. Die Klasse, ich glaube eine 8te Klasse hatte in der Vorwoche die Aufgabe bekommen Schilder zu machen  auf denen stand „Don't step on the plants“ weil die Kinder die jungen Pflänzchen im Garten gerne mal übersehen, wie mir Yoli erzählt hat.
Der Unterricht begann damit, dass die Schilder von den Kindern vorgestellt wurden und in der Gruppe diskutiert wurde ob sie gut waren und ausreichend Information enthielten, die auch die kleineren Kinder, die noch nicht lesen können, verstehen können. Es ging weiter mit einer Gruppendiskussion über die Frage wo die Schilder hängen sollten, in welche Richtung sie zeigen sollten, wie sie befestigt werden sollten und wie lange man wohl damit rechnen konnte, dass die Schilder intakt bleiben. Es kam wirklich jedes Detail zur Sprache. Es wurde in der Gruppe sogar diskutiert welche Nägel verwendet werden sollten. (Die langen oder die kurzen? Die rostenden oder die nicht rostenden?...) Zuletzt sollten sogar die Schüler die letztlich die Arbeit dann ausführen wollten vor der Gruppe Argumente vorbringen, warum SIE am besten geeignet waren. Nach der Diskussion wurde abgestimmt. Die Mehrheit gewinnt.
Es ist nicht so, dass die Schüler dort alle begeistert an der Diskussion teilgenommen hätten. Da unterscheiden sich Kinder in dem Alter wohl kaum, egal woher sie kommen. Vielmehr regten die Lehrer diese Art der gemeinsamen Entscheidungsfindung an. Es ist auch nicht so, dass all das schnell über die Bühne ging. Es war eine sehr langwierige Sache und dauerte über eine Stunde.

Diese Art der Kommunikation hat mich überrascht, denn ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals so lange über eine Sache mit einer Gruppe diskutiert hätte. So als wären wir zu ungeduldig für solch ausführlichen Diskussionen. Ich war tatsächlich auch ungeduldig bei dieser Unterrichtsstunde weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, dass DAS der Unterricht war. Ich dachte, dass es doch sehr ineffizient ist, so zu einer Entscheidung zu kommen. Jaja, ich bin halt (noch) ganz die Deutsche.
Aber heute ein paar Tage später kann ich euch verkünden, dass mir jemand erklären konnte warum das an der Schule so gemacht wurde. Erklärt hat es mir kein geringerer als Mr. Nelson Mandela selbst, dessen Autobiografie ich gerade lese. Es ist wohl ein Prinzip der Afrikaner, vielleicht auch speziell der Xhosa.
Er schreibt:

„Die Zusammenkünfte dauerten so lange, bis irgendeine Art von Konsens erreicht war. Ein Treffen konnte nur in Einstimmigkeit enden oder überhaupt nicht. Einstimmigkeit konnte allerdings auch darin bestehen, dass man darin übereinstimmte, nicht übereinzustimmen, und zu warten, bis die Zeit günstiger war, um eine Lösung vorzuschlagen.“

Für mich erklärt das einiges. Es ist geradeso als ob hier der Mensch und nicht die Sache im Mittelpunkt steht. Wir sind es gewohnt, dass es bei solchen Meetings um die Sache geht, um eine effiziente Lösung des Problems und wenn das bedeutet, dass vielleicht derjenige mit der meisten Kompetenz die Führung übernimmt wird das in Kauf genommen. Solange es der Sache dient. Hier (in Afrika) scheint man dagegen eher besorgt dass man jemanden vor den Kopf stoßen könnte, wenn man sein Anliegen nicht ernst nimmt. Daher darf jeder erst mal seinen Senf dazugeben und dann versucht man zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Das braucht seine Zeit, aber ehrlichgesagt kann ich dem gerade auch gute Seiten abgewinnen. Immerhin ist es eine Lösung die alle „erschaffen“ haben und vielleicht fühlt es sich dann besser an, fühlt es sich wie „sein eigenes Baby“ an.
Ich habe in Deutschland ja einige Male mitbekommen wie unzufrieden die Mitglieder einer Gruppe werden können, wenn Entscheidungen getroffen werden, bei denen sie nicht miteinbezogen wurden. Selbst wenn es die beste Lösung ist sind die Teammitglieder unzufrieden. So gesehen kann man die „Sache“ wohl doch nicht als das wichtigste ansehen. Der Mensch darf nicht vergessen werden.
Vielleicht gewöhne ich mich noch an diese Art von Entscheidungsfindung und entdecke noch mehr darin.

No comments:

Post a Comment